Im Rückblick auf heute werden wir erkennen, wie wir die Automobilindustrie nach März 2023 noch eine Weile an die Maschinen angeschlossen und mit lebensverlängernden Maßnahmen einen Herzschlag simuliert haben. Aber wie in so vielen  Fällen, werden wir dann wissen: Diese Maßnahmen werden aufwendig gewesen sein. Sie werden sehr teuer gewesen sein und vermeidbares Leid erzeugt haben. Und irgendwann kommt doch die Zeit, die Maschinen abzustellen und sich der Realität zu stellen. Der Tod war längst zuvor eingetreten. Wir werden dann wissen: Ein politischer Kraftakt führte am 24. März 2023 dazu, das EU-Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotor aufzuweichen und diesen im Namen einer vorgeblichen Technologieoffenheit eine neue Zukunft zu öffnen. Damit war die Automobilindustrie alten Typs nicht mehr zu retten.

In Vorträgen und Workshops diskutiere ich oft das Gegenüber von linearen und disruptiven Zukünften. Die klassischen Beispiele sind alle einschlägig und doch stoße ich immer wieder auf Verwunderung und große Fragezeichen. Wie kann es sein, dass Kodak nicht rechtzeitig bemerkt hat, wie das Zeitalter der analogen Fotografie an sein Ende kam? Wir erleben genau diesen Moment gerade wieder. Anschauungsmaterial für die Geschichtsbücher.

Es geschieht in hellstem Tageslicht: Die europäischen Hersteller seien in der Lage, die besten Verbrennungsmotoren zu bauen, das dürfe man ihnen nicht nehmen. Die besten analogen Kameras. Die besten Tastentelefone. Die besten Videorecorder. Das Muster ist im Grunde leicht zu erkennen. Oder etwa nicht?

Aber die Arbeitsplätze ... Am Rande bemerkt: Es scheinen stets die fossilen Arbeitsplätze zu sein, die im Zweifel der Rettung bedürfen. Kohle, Auto und dergleichen. Für Solar und Wind scheint das nicht zu gelten. Natürlich: Niemand hat analoge Fotografie verboten. Kodak ist ganz ohne Verbot vom Markt verschwunden, in aller Technologieoffenheit. Warum wäre ein solches Verbot möglicherweise hilfreich gewesen? Um die alte Welt zum Wandel zu zwingen.

Ohne Transformation gehen die Arbeitsplätze der traditionellen Automobilindustrie mit Sicherheit verloren. Mit einer Transformation haben sie eine Chance auf eine neue Zukunft. Das Verbot verhindert nicht eine Zukunft, es fordert die Akteure heraus, die bequeme Welt des Linearen zu verlassen und ihre Zukunft neu zu erfinden. Das geschieht nicht nebenbei. Transformation geschieht niemals nebenbei. Sie ist keine Optimierung bestehender Verhältnisse, sie bricht mit dem Linearen. Das ist genau der Grund, warum der Stopp des Verbrennerverbots gerade für die Automobilindustrie selbst fatal sein wird. Wir zögern den Punkt hinaus, an dem eine Schlüsselindustrie mit ihrer alten Identität bricht. Wir nehmen ihr die Energie, mit ausschließlicher Aufmerksamkeit an ihrer neuen Identität zu arbeiten, indem wir ihr vorgaukeln, es gäbe eine erfolgreiche Zukunft im Linearen. Sie zur Veränderung zu nötigen und ihr dafür klare Rahmenbedingungen zu geben, wäre klug mit Blick auf unseren Wohlstand und die Stabilität der Gesellschaft.

Dass #efuels darüber hinaus physikalisch und energiepolitisch sinnlos sind, ist vielfach beschrieben worden. Ihre Energiebilanz ist grauslich. Ein Wort von Ferdinand Dudenhöffer, der kaum im Verdacht stehen kann, industiefeindlich zu argumentieren (1). Wenn überhaupt je ein Tropfen efuel beim motorisierten Individualverkehr ankommt, nachdem wir Flugzeuge und Schiffe versorgt haben, bleint er doch verschwendet (2). Auch von den Verbrenner-Aficionados wird kaum abgestritten, dass der Einsatz von efuels nur mit erheblicher Subventionierung möglich sein wird. Verbrennungsmotoren auf der Basis von efuels sind an sich schlicht nicht marktfähig. Der Bundesfinanzminister stellt daher bereits neue Subventionen in Aussicht (3). Hier erreicht der verzweifelte Versuch, das lineare Modell in die Zukunft zu verlängern, seine absurde Spitze. Wir tun noch nicht einmal so, als könne sich das alte Modell "Verbrennungsmotor" aus sich heraus behaupten - und geben der Industrie dennoch Anreize, sich nicht mit voller Kraft und ausschließlich Energie auf die Transformation zu konzentrieren. Dies fahrlässig zu nennen, wäre eine unzulässige Untertreibung.

Big Auto ist in der Nachspielzeit. Kunden, die sich morgen noch einen Verbrenner kaufen, gefällt auch ein VHS-Recorder. Wir schließen eine alte Technologie an die Herz-Lungen-Maschine an und nennen dies Technologieoffenheit. Was für ein Etikettenschwindel! Dabei bräuchten wir dringend eine wahre Technologieoffenheit: Offenheit für neue Technologien.  

(1) https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/14172770/Professor-Dudenhoeffer-zu-EU-Verbrennerverbot/15364888

(2) https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100149802/verbrenner-aus-expertin-kritisiert-wissing-plan-scharf.html

(3) https://www.zeit.de/politik/2023-03/verbrenner-streit-e-fuels-steuern-christian-lindner?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft.co%2F