Wie wird das Urteil späterer Historiker:innen über die 20er Jahre ausfallen? Ein Jahrzehnt des Aufbruchs oder eines der Resignation? Ein Jahrzehnt, in dem die Menschen in Mitteleuropa endlich ihre Komfortzone verlassen haben? Oder doch die Zeit des großes Roll-Backs vieler Errungenschaften, an dessen Ende die alten weißen Männer die Gestaltungsmacht wieder vollständig in der Hand haben? Heike Specht ist Historikerin und Autorin. Ihr Bild ist ernst, aber fast trotzig positiv.

Die Fakten sind soweit bekannt: Wir stapeln Krise auf Krise. Jüngere Generationen haben längst gemerkt, dass wir uns erheblich bewegen müssen. Viele Ältere reagieren mit Angst, die sie ohnehin haben – oder die von denen leicht zu schüren ist, die in der alten Welt am meisten profitieren. Im Ergebnis reißt das Internet ab, wenn Heike aus ihrer Wahlheimat Schweiz mit dem Zug nach Deutschland fährt. Ganztagsschulen? Tempolimit? Digitale Verwaltung? Schon der Blick aus dem Nachbarland wirft rätselnde Fragen auf: Was ist hier alles nicht passiert? Und warum?

Warum ist der Aufschrei nicht lauter? Warum stampfen Frauen nicht mit beiden Füßen auf, wenn ihre Teilhabe an der Gesellschaft immer weiter in Frage gestellt wird? Was kommt dabei heraus, wenn wir wirklich aufarbeiten, was unsere Gesellschaft in der Pandemie Kindern und Jugendlichen zugemutet hat – und warum wir glaubten, damit durchzukommen? Wir sehen, wie es gerade Frauen sind, die sich um Kinder im Homeschooling und den Haushalt kümmern – im Unterschied zu den 70ern nebenbei allerdings noch Vollzeit in Zoom-Konferenzen arbeiten. Der Mann geht derweil wieder ins Office und schachert beim Bier nach Feierabend um den nächsten Karriereschritt. Warum kein Protest? Warum keine Wut? Heike diagnostiziert: Wandel ist anstrengend. Organisation ist anstrengend. Widerstand ist anstrengend. Und Erschöpfung rules.

Jede:r Therapeut:in würde unserer Gesellschaft wohl zugestehen: Wer Wandel erlebt, braucht Zeit, um die Narben zu integrieren. Aber reicht das als Grund? Reicht das, auf die eigenen Kinder zu schauen und sich sicher zu sein, dass wir ihnen eine lebenswerte Welt übergeben? Oder vielleicht doch nicht zu oft darüber nachdenken?

Der Druck ist jedenfalls auch an dem ganz handfesten Streit darum zu erkennen, wer denn eigentlich mitsprechen darf, wenn es um unsere Zukunft geht. In den USA, ebenso aber auch viel näher in Polen, werden Frauenrechte ebenso widerrufen wie die Rechte von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung und zahlreicher weiterer Gruppen. Als wäre das Recht auf Teilhabe immer nur auf Zeit verliehen. Natürlich von denen, die immer Teilhabe für sich in Anspruch nehmen können.

Was also hilft? Trotz allem: Reden. Dialog. Also ran.

Zu Gast: Heike Specht, Historikerin, Autorin, Buch: Die Ersten ihrer Art