Unbequeme Einsichten: Auf gar keinen Fall kann man sich ein langfristiges Überleben der Menschheit vorstellen, wenn die globale Ungleichheit nicht abgebaut wird. Im Moment sprechen wir darüber zu helfen. Als ob es darum ginge. Dabei helfen wir nur, die von uns selbst verursachten Schäden abzufedern. Stattdessen müssen wir über Verantwortlichkeit sprechen. Das sagt Wolfgang Cramer, Geograph und Klimaforscher in Deutschland und Frankreich, seit vielen Jahren einer der Autoren der Weltklimaberichte.

Das globale Ungleichgewicht ist seit vierzig Jahren benannt und verschärft sich. Auf der jüngsten Klimakonferenz wurde es mal thematisiert und ein Fonds eingerichtet, allerdings ohne ausreichende Mittel. Das ist eine Frechheit, so Wolfgang.

Zur Klimakrise trägt Wolfgang einen gehörigen Pessimismus in sich: Eine Perspektive auf 1,5 Grad existiert schlicht nicht mehr. Ein Fall von selbst Schuld; die nötige Transformation wäre gut machbar, allerdings hätte sie längst begonnen haben müssen. Hat sie nicht. Was ist dann realistisch? Wolfgang betont: Das ist keine wissenschaftliche, sondern rein politische Frage. Wir könnten mehr als wir selber glauben. Aber Wolfgang ist skeptisch.

Parallel mindestens so folgenschwer ist die Krise der Biodiversität. Wir verlieren nicht nur Arten, sondern ganze Ökosysteme. Das hat ganz handfeste Folgen für uns selbst, für den Menschen. Wir verlieren die tropischen Korallenriffe und das arktische Seeeis. Allein davon hängen bis zu einer Milliarde Menschen auch ökonomisch ab. Tourismus, Fischerei, Nahrung – wir verlieren einen wesentlichen Teil unserer Nahrungsgrundlage. Dasselbe Bild zeigt sich in der Landwirtschaft. Anders als wir vielfach glauben sichert nicht die hochgezüchtete Monokultur die landwirtschaftliche Produktion. Im Gegenteil. Wir verlieren aktuell das Ökosystem Boden und entziehen damit der Nahrung im wahrsten Sinne die Grundlage.

Wir stehen vor erheblichen Konflikten, die national sehr unterschiedlich ausgetragen werden. Wenn der Druck weiter steigt, wie tragen wir diese Konflikte richtig aus? Lassen wir uns ablenken und streiten über Migration oder Kosten oder gelingt es uns, die eigentliche Frage in den Vordergrund zu stellen? Wolfgang sagt: Wir benötigen eine ernsthafte Diskussion, ob wir tatsächlich nur möglichst viele, möglichst große Autos bauen und auf dem ganzen Planeten verkaufen müssen – und dann wird schon alles gut. Das ist der Kern.

Wolfgang kommt aus einer Tradition, in der Wissenschaftler:innen einen vollständig neutralen Blick haben müssen. Die Wissenschaft liefert Fakten und überlässt es den gesellschaftlichen Kräften, über die Konsequenzen zu diskutieren. Diese Position empfindet Wolfgang als zunehmend absurd und positioniert sich heute anders. Jede Art von Protest muss gewaltfrei sein. Aber Straßenblockaden oder symbolische Aktionen sind ganz offensichtlich notwendig.

Zu Gast in dieser Woche:

Wolfgang Cramer, Geograph und Klimaforscher, war lange Professor in Potsdam, forscht und lehrt in Frankreich und ist einer der Mitautoren der Weltklimaberichte